Meine Gedanken zum 25. Jubiläum des Mauerfalls:
Also, was wäre passiert, wenn die Mauer vor 25 Jahren nicht
gefallen wäre?
Im Jahr des Mauerfalls, also 1989 war ich 13 Jahre alt. Ich
besuchte die 7. Klasse der Herrmann-Matern-POS und war natürlich
auch Thälmann-Pionier. Für alle, die das nicht kennen, das waren
die Kinder, mit den roten Halstüchern.
Apropos, ich weiß noch, wie ich nachmittags noch einmal in die
Schule zu einer Versammlung musste. Natürlich mit Halstuch und weil
dies so zerknittert war, wollte ich es noch schnell aufbügeln. Hatte
ich es doch schon so oft bei meiner Mutter gesehen. Aber sie war
nicht da, also musste ich selber ran. Dieses Tuch bestand aus
Kunstfaser, ich glaube es war Dederon, oder so. Na jedenfalls blieb
das Bügeleisen direkt am Stoff kleben und in meinem roten Halstuch
klaffte ein riesiges Loch. Was tun? Panik machte sich breit. Das
Ersatztuch war ebenfalls zerknittert und die Zeit drängte. Ich
musste schließlich pünktlich sein. Ich rollte also das Tuch so weit
zusammen, dass nur noch eine kleine Spitze unter dem Hemdkragen
herausblitzte und ging so zur Versammlung. Abends gab es natürlich
Ärger, denn nicht nur das Tuch war im Eimer, das Bügeleisen war es
auch.
Aber zurück zur Geschichte.
Ich war also 13 Jahre alt und wusste, dass ich im nächsten Sommer
endlich zu den FDJ´lern gehören würde. Eine Jugendweihe stand an,
normalerweise mit 14. Also ich freute mich darauf, denn das war das
Fest für uns Kinder. Es würde Geschenke geben und die ganze Familie
käme wieder zusammen. Man kann das vergleichen mit Kommunionen bei
den katholischen Familien heutzutage. Der Sinn der Jugendweihe
bestand darin, dass die Kindern nun in den Kreis der Erwachsenen
aufgenommen werden. Sie werden mit Rechten aber auch mit Pflichten
belegt. Und so weiter und so fort. Ich bin ja nicht in diesen
„Genuss“ gekommen, denn kaum dass die Mauer und das Regime
gefallen waren, gab es auch keine Jugendweihen mehr. Das heißt dann
wohl, dass ich nie in den „erlauchten Kreis der Erwachsenen“
aufgenommen worden bin. Hat ja auch was.
Diese Feierlichkeit ist also an mir vorbeigegangen, ebenso wie das
blaue FDJ-Hemd.
Wäre die Mauer nicht eingerissen worden, ich hätte meine
Jugendweihe erhalten und auch das Hemd. Ich wäre wohl weiter in den
Gruppenrat gewählt worden. Das war damals so was wie der
Klassensprecher es heute ist, wäre FDJ´ler geworden.
Aber wie wäre es weiter gegangen?
Ich hätte sicherlich die Schule mit der 10. Klasse abgeschlossen
und danach einen Beruf erlernt, wahrscheinlich im Betrieb, in dem
auch meine Eltern arbeiteten. Denn der Weinbau interessierte mich
damals schon. Und wenn ich jetzt so darüber nachdenke, es stimmt
wohl: die Kindheit prägt uns für unser gesamtes Leben. Ich habe mir
dieses Jahr meinen Traum von einem eigenen Weinberg erfüllt.
Es steht einfach zweifelsfrei fest, dass all das, was ich mir bis
jetzt erarbeitet und erschaffen habe, ich so nicht hätte, wenn es
die Mauer noch gäbe. Ich hätte ein ganz anderes Leben gehabt bis
hier hin. Ob es besser oder schlechter wäre, kann ich nicht
beurteilen. Ich weiß nur, dass die Herzlichkeit und der Zusammenhalt
die Jahre auf der Strecke geblieben ist. Denn diese Dinge waren
etwas, was ich am „Heute“ vermisse und was es das „Damals“
besser gemacht hat. Die Menschen interessierten sich für einander,
sie lachten, sie feierten, sie halfen sich.
Das Reisen hätte ich vermisst. Ich war ab 16, 17 ständig
unterwegs. In Deutschland, Europa und ja, auch in der Welt habe ich
mich umgeschaut. Diese Erfahrungen hätte ich schmerzlich vermisst,
umso glücklicher bin ich jetzt, dass ich sie machen durfte.
Ja, ich bin dankbar, dass es damals Menschen gab, die für ihren
Traum von Freiheit auf die Straße gegangen sind. Keiner weiß, was
alles hätte passieren können. Gefängnisstrafen, Zuchthaus, Verlust
des Arbeitsplatzes und der Familie, Bespitzelung und Diffamierung.
Die Menschen nahmen all dies in Kauf, um für ihre Träume und auch
für ihre Überzeugung einzutreten. Ich bewundere dies. Diese
Menschen waren stark und haben etwas Unglaubliches geschafft. Die
Wende. Ein politisches System ist zusammengebrochen, wurde
niedergerissen, weil es nicht funktioniert hat, weil es die Menschen
eingeschränkt und auch vernichtet hat. Der Staat hat versucht, seine
Bewohner zu kontrollieren und zu beherrschen, aber geschafft hat er
es nicht. Der Wille nach Freiheit war einfach stärker und hat sich
durchgesetzt.
Vielleicht sehe ich das falsch, aber diese Dankbarkeit, die ich
empfinde – und mit mir sicher Tausende andere auch – können nur
Menschen nachempfinden, die wissen, was es heißt, aus diesen
beengten Verhältnissen zu kommen, die eine Beschneidung der eigenen
Freiheit hautnah miterlebt haben.
Doch eine Frage bleibt offen im Raum zurück: Gäbe es heute noch
immer so viele Menschen, die für ihre Überzeugungen, ihre Träume
und Wünsche auf die Straße gehen würden oder sind wir abgestumpft
und leer geworden? Wo bleibt der Freiheitsgedanke, wenn wir noch
immer ausspioniert und verraten werden und andere, unsichtbare
Mächten mehr von uns wissen, als wir selbst? Und warum wehrt sich
keiner mehr? Wiederholt sich vielleicht Geschichte?
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