Samstag, 8. November 2014

Eine Idee von Freiheit

Meine Gedanken zum 25. Jubiläum des Mauerfalls:
Also, was wäre passiert, wenn die Mauer vor 25 Jahren nicht gefallen wäre?
Im Jahr des Mauerfalls, also 1989 war ich 13 Jahre alt. Ich besuchte die 7. Klasse der Herrmann-Matern-POS und war natürlich auch Thälmann-Pionier. Für alle, die das nicht kennen, das waren die Kinder, mit den roten Halstüchern.
Apropos, ich weiß noch, wie ich nachmittags noch einmal in die Schule zu einer Versammlung musste. Natürlich mit Halstuch und weil dies so zerknittert war, wollte ich es noch schnell aufbügeln. Hatte ich es doch schon so oft bei meiner Mutter gesehen. Aber sie war nicht da, also musste ich selber ran. Dieses Tuch bestand aus Kunstfaser, ich glaube es war Dederon, oder so. Na jedenfalls blieb das Bügeleisen direkt am Stoff kleben und in meinem roten Halstuch klaffte ein riesiges Loch. Was tun? Panik machte sich breit. Das Ersatztuch war ebenfalls zerknittert und die Zeit drängte. Ich musste schließlich pünktlich sein. Ich rollte also das Tuch so weit zusammen, dass nur noch eine kleine Spitze unter dem Hemdkragen herausblitzte und ging so zur Versammlung. Abends gab es natürlich Ärger, denn nicht nur das Tuch war im Eimer, das Bügeleisen war es auch.
Aber zurück zur Geschichte.
Ich war also 13 Jahre alt und wusste, dass ich im nächsten Sommer endlich zu den FDJ´lern gehören würde. Eine Jugendweihe stand an, normalerweise mit 14. Also ich freute mich darauf, denn das war das Fest für uns Kinder. Es würde Geschenke geben und die ganze Familie käme wieder zusammen. Man kann das vergleichen mit Kommunionen bei den katholischen Familien heutzutage. Der Sinn der Jugendweihe bestand darin, dass die Kindern nun in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen werden. Sie werden mit Rechten aber auch mit Pflichten belegt. Und so weiter und so fort. Ich bin ja nicht in diesen „Genuss“ gekommen, denn kaum dass die Mauer und das Regime gefallen waren, gab es auch keine Jugendweihen mehr. Das heißt dann wohl, dass ich nie in den „erlauchten Kreis der Erwachsenen“ aufgenommen worden bin. Hat ja auch was.
Diese Feierlichkeit ist also an mir vorbeigegangen, ebenso wie das blaue FDJ-Hemd.
Wäre die Mauer nicht eingerissen worden, ich hätte meine Jugendweihe erhalten und auch das Hemd. Ich wäre wohl weiter in den Gruppenrat gewählt worden. Das war damals so was wie der Klassensprecher es heute ist, wäre FDJ´ler geworden.
Aber wie wäre es weiter gegangen?
Ich hätte sicherlich die Schule mit der 10. Klasse abgeschlossen und danach einen Beruf erlernt, wahrscheinlich im Betrieb, in dem auch meine Eltern arbeiteten. Denn der Weinbau interessierte mich damals schon. Und wenn ich jetzt so darüber nachdenke, es stimmt wohl: die Kindheit prägt uns für unser gesamtes Leben. Ich habe mir dieses Jahr meinen Traum von einem eigenen Weinberg erfüllt.
Es steht einfach zweifelsfrei fest, dass all das, was ich mir bis jetzt erarbeitet und erschaffen habe, ich so nicht hätte, wenn es die Mauer noch gäbe. Ich hätte ein ganz anderes Leben gehabt bis hier hin. Ob es besser oder schlechter wäre, kann ich nicht beurteilen. Ich weiß nur, dass die Herzlichkeit und der Zusammenhalt die Jahre auf der Strecke geblieben ist. Denn diese Dinge waren etwas, was ich am „Heute“ vermisse und was es das „Damals“ besser gemacht hat. Die Menschen interessierten sich für einander, sie lachten, sie feierten, sie halfen sich.
Das Reisen hätte ich vermisst. Ich war ab 16, 17 ständig unterwegs. In Deutschland, Europa und ja, auch in der Welt habe ich mich umgeschaut. Diese Erfahrungen hätte ich schmerzlich vermisst, umso glücklicher bin ich jetzt, dass ich sie machen durfte.
Ja, ich bin dankbar, dass es damals Menschen gab, die für ihren Traum von Freiheit auf die Straße gegangen sind. Keiner weiß, was alles hätte passieren können. Gefängnisstrafen, Zuchthaus, Verlust des Arbeitsplatzes und der Familie, Bespitzelung und Diffamierung. Die Menschen nahmen all dies in Kauf, um für ihre Träume und auch für ihre Überzeugung einzutreten. Ich bewundere dies. Diese Menschen waren stark und haben etwas Unglaubliches geschafft. Die Wende. Ein politisches System ist zusammengebrochen, wurde niedergerissen, weil es nicht funktioniert hat, weil es die Menschen eingeschränkt und auch vernichtet hat. Der Staat hat versucht, seine Bewohner zu kontrollieren und zu beherrschen, aber geschafft hat er es nicht. Der Wille nach Freiheit war einfach stärker und hat sich durchgesetzt.
Vielleicht sehe ich das falsch, aber diese Dankbarkeit, die ich empfinde – und mit mir sicher Tausende andere auch – können nur Menschen nachempfinden, die wissen, was es heißt, aus diesen beengten Verhältnissen zu kommen, die eine Beschneidung der eigenen Freiheit hautnah miterlebt haben.
Doch eine Frage bleibt offen im Raum zurück: Gäbe es heute noch immer so viele Menschen, die für ihre Überzeugungen, ihre Träume und Wünsche auf die Straße gehen würden oder sind wir abgestumpft und leer geworden? Wo bleibt der Freiheitsgedanke, wenn wir noch immer ausspioniert und verraten werden und andere, unsichtbare Mächten mehr von uns wissen, als wir selbst? Und warum wehrt sich keiner mehr? Wiederholt sich vielleicht Geschichte?








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